Georg Meyer-Wahl

WahrnehmungsveränderungGeorg Meyer-Wahl ist ein renommierter Psychologe und Psychotherapeut. In seinem letzten Kommentar beschäftigt er sich mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Wahrnehmensveränderung älterer Menschen. Konkret geht es dabei um das Phänomen der Gutgläubigkeit alter Menschen.

Sind alte Menschen tatsächlich zu gutgläubig?

Sie neigen mehr als jüngere Menschen dazu, im Kontakt mit Fremden gutgläubig und vertrauensselig zu handeln und werden dadurch vermehrt Opfer von Betrügern. Jeder von uns kennt Geschichten, wie alte Leute zum Beispiel auf Trickbetrüger mit der so genannten „Enkelmasche“ hereinfallen oder sich vollkommen unsinnige Verträge aufschwatzen lassen.

Wieso kommt es, dass der „Enkeltrick“ so oft funktioniert?

Nach einer im Oktober veröffentlichten Studie amerikanischer Wissenschaftler ist es für ältere Menschen tatsächlich viel schwieriger als für jüngere Testpersonen, an der Mimik zu erkennen, ob ihr Gegenüber vertrauenswürdig ist. Das ist hauptsächlich neurologisch bedingt. Der Teil des Gehirns (genannt anteriore Insula), der für das „Bauchgefühl“ aber auch für Gefühle wie Risikoeinschätzung und Abneigung zuständig ist, wird im Alter weniger aktiv. Dadurch lässt die Vorsicht ganz automatisch immer mehr nach.

Hat die Wahrnehmungsveränderung im Alter auch positive Seiten?

Im Profil von Georg Meyer-Wahl geht er darauf ein, dass die nachlassende Vorsicht und verstärkte Vertrauensseeligkeit auch etwas Gutes hat. Dieses Phänomen nennen die Fachleute „Wohlbefindens-Paradoxon“. Die alten Menschen fühlen sich, von akuten Krankheiten abgesehen, subjektiv gleichmäßig gut, obwohl das fortschreitende Alter mit immer stärkeren gesundheitlichen Einschränkungen und Gebrechen einher geht. Diese Phase des gefühlten Wohlbefindens hält in der Regel bis zum so genannten „Final Drop“, etwa drei Jahre vor dem Tod an. Viele Theorien haben schon versucht das Phänomen zu erklären, eine von ihnen ist die Idee vom sozialen Abwärtsvergleich mit Menschen, denen es noch schlechter geht als einem selbst. Aber wie es jetzt aussieht, ist es wohl eher eine Mischung verschiedener Ursachen, zu denen vermutlich auch die geringere Aktivität des anteriore Insula gehören dürfte.